BPMN 2.0 und die «Qual der Wahl» mit Prozess-Plattformen: Ein Erfahrungsbericht
16. Juni 2021Business Process Model and Notation 2.0 (BPMN 2.0) ist eine universelle Notation zur Visualisierung von Geschäftsprozessen. Die Notation enthält spezifische Regeln, die einen disziplinierten Zugang zur Modellierung und damit Optimierung von Geschäftsprozessen erlaubt. In der Praxis bedeutet dies unterschiedliche Anforderungen und Erwartungen an die eingesetzten Programme bzw. Tools. Die Softwarelandschaft ist dementsprechend vielseitig: BPMN-Tools reichen vom schlanken browserbasierten draw.io über Cawemo oder ViFlow bis hin zum vollständigen Softwarepaket Adonis oder Signavio, um nur eine kleine Auswahl zu nennen. Der Funktionsumfang variiert dabei stark und deckt unterschiedlich gelagerte Bedürfnisse in der Prozessdarstellung, -optimierung oder sogar -automatisierung ab.
Wir stellen nachfolgend einen Ausschnitt der Möglichkeiten von BPMN 2.0 anhand von konkreten Erfahrungen aus dem Prozessoptimierungsalltag mit der Notation und diesen Tools vor.
BPMN 2.0 – Eine Sprache zur Darstellung von Prozessen
Ein typischer erster Schritt zur Optimierung von Geschäftsprozessen ist die Sammlung bestehender Teilprozesse und deren übersichtliche Darstellung. Alle Tools, die auf BPMN 2.0 spezialisiert sind, enthalten die Syntax von BPMN 2.0 (Regeln) und erlauben die Erstellung von Diagrammen unter Einhaltung dieser Regeln. Dadurch lassen sich einfache Prozesse ohne grosse Einstiegshürden direkt darstellen und auf verschiedenen Ebenen einer Organisation diskutieren. Logiken und Regeln innerhalb BPMN 2.0 sind universell und unabhängig von der Auswahl des Tools.
Die Notation bildet so eine Sprache zur Darstellung von Prozessen. Diese Prozessdarstellungen eignen sich als Grundlage zur Kommunikation zwischen technischen Entwickler:innen von Software und Anwender:innen der Software. Zeigen Sie jemandem ein BPMN 2.0-Diagramm, so ist der Prozess prinzipiell klar, denn es kann einfach gelesen werden. BPMN 2.0 wird hier zur Schnittstelle zwischen Geschäftsprozessen einerseits und Systemprozessen andererseits und ermöglicht Business – IT – Alignment. Die Darstellung des Prozesses hilft dadurch beim Übersetzen. Ersetzen kann die reine Darstellung jedoch Benutzerhandbücher und Anleitungen nicht, sprich, es ist keine Dokumentation von einzelnen Arbeitsschritten.
Auch bietet BPMN 2.0 keinen Ersatz für die Spezifikationen von IT-Systemen. BPMN 2.0 ist im Kern beschreibend und erklärend. Wer sich in der Darstellung auf wenige Symbole beschränkt und damit eine einfache Modellierungskonvention einhält, macht es sich vergleichsweise einfach. Gerade für kleinere Unternehmen bzw. Teilbereiche von grösseren Organisationen mit überschaubarer Anzahl ineinandergreifender Prozesse bietet BPMN 2.0 oft schon eine zielführende Lösung, um mit tiefer Einstiegshürde und überschaubarem Aufwand viel Nutzen aus der Modellierung zu ziehen.
Wo ergibt die Modellierung in BPMN 2.0 Sinn?
In der Praxis sind Prozessdarstellungen oftmals historisch aus verschiedenen Richtungen gewachsen. Auf der einen Seite stehen Flowcharts, die bspw. Abläufe im Büro auf Sachebene darstellen. Auf der anderen Seite existieren Systemprozesse, deren Darstellung und Spezifikation auf ihrer technischen Implementierung (SAP etc.) basieren. Eine geeignete Schnittstelle dazwischen zu finden und innerhalb einer Organisation zu pflegen, ist oftmals mit grossem und anhaltenden Aufwand verbunden.
Die Einführung von BPMN 2.0 als Modellierungsstandard bietet die Möglichkeit, eine gesamtheitliche Sicht auf systemische (IT) sowie manuelle Aufgaben (Arbeitsschritte) zu entwickeln. BPMN 2.0 wird bspw. gemäss der IKT-Strategie der Bundesverwaltung standardisiert beim Bund eingesetzt. Dabei folgt die Bundesverwaltung den Modellierungskonventionen der eCH-Standards vom Juni 2020.
Unabhängig von der Wahl des Tools ermöglicht die Modellierung nach BPMN 2.0 unter anderem das Aufzeigen von Doppelspurigkeiten, die Prozessdokumentation zur Wissenssicherung oder auch die transparente Darstellung von Prozessen als Grundlage für die Erhebung von Anforderungen.
Zusätzlich zu diesen BPMN 2.0-bezogenen Vorteilen ermöglicht die Auswahl eines Modellierungstools weitere Anwendungsmöglichkeiten: Diese reichen bspw. von der Darstellung in ViFlow über Simulationen der Prozesse in Adonis bis hin zu deren Automatisierung in Camunda. Unsere Erfahrung zeigt uns hier, dass die meisten Anwender:innen erfahrungsgemäss nur Bruchteile der gesamten Funktionalität eines Tools nutzen.
BPMN 2.0 – Die Tools und ihr Einsatzgebiet
Sobald über die Darstellung einzelner voneinander losgelöster Prozesse hinausgegangen wird, ergeben sich zentrale Fragestellungen, die Weitblick erfordern und eingangs berücksichtigt werden sollten. Die unterschiedlichen Flughöhen zwischen IT-Systemprozess und Geschäftsprozess bedingen beispielsweise zusätzlichen Koordinationsaufwand. In der Realität zeigt sich ein etwas anderes Bild als in der Theorie: Am Anfang steht oft ein Proof-of-Concept und erst mit der vertieften Anwendung werden weitere Funktionen bzw. Anforderungen daraus ersichtlich. Modellierungskonventionen entstehen dabei nicht immer bewusst als Konzept, sondern erst mit der Nutzung eines Tools. Die Benennung von Rollen oder der Detailreichtum einzelner Symbole sind zum Beispiel Freiheiten in der Gestaltung der Diagrammzeichner:innen.
Gemeinsames Erstellen von Geschäftsprozessen
Das gemeinsame synchrone Erstellen von Geschäftsprozessen ist bspw. in Cawemo, der webbasierten Version von Camunda, möglich. Aber auch ohne die Funktion des kollaborativen Erstellens wie bei Cawemo, lassen sich Prozesse gemeinsam erarbeiten. Die Benutzeroberfläche in BPMN 2.0-spezifischen Tools ist so ausgelegt, dass geübte Modellierer:innen live Beiträge in online-Meetings im Screen-share Modus einarbeiten können. Auf diese Weise können Geschäftsprozesse ohne persönliche Treffen gemeinsam erstellt werden.
Zentrale Ansicht, Sammlung und Bereitstellung
Ein typischer Nutzen der vereinheitlichten Darstellung vieler Prozesse innerhalb einer Organisation ist es, Mitarbeiter:innen Informationen bereitzustellen. In ViFlow lassen sich Prozesse im Kontext grösserer Prozesslandkarten in einer Webansicht darstellen, die den Nutzer:innen Zusatzinformationen zum einfachen Durchklicken bietet. Innerhalb einer Organisation entsteht so ein kongruentes Bild aller Geschäftsprozesse – eine prozessbasierte Wissensplattform. Schlussendlich ermöglicht ViFlows Webexport Wissen über Prozesse zentral zu sammeln und bereitzustellen. Angehörige einer Organisation erhalten so die Chance, sich detailliert und ohne Vorwissen in der Prozesslandschaft über eigene und angrenzende Geschäftsprozesse auf einen Blick zu informieren.
Verknüpfungen von Prozessen und Teilprozessen
Wenn mehrere verschiedene Abteilungen zusammenhängende Prozesse erarbeiten, sollten Rollen und weitere mögliche Elemente zentral gemanagt werden. Hier lohnt sich der Blick in Tools mit grösserem Funktionsumfang wie bspw. Adonis. Es gilt abzuwägen, ob der angestrebte Nutzen der Darstellung den zusätzlichen Aufwand rechtfertigt. Dieser wird bedingt durch die weiteren Elemente, die einheitlich zu führen sind.
Mit der Wahl eines mächtigeren Tools wie bspw. Adonis müssen zwar höhere Einstiegshürden in der zentralen Administration etc. überwunden werden, die Darstellung von übergreifenden Rollen (u. a.) innerhalb mehrerer Prozesse wird dadurch aber ermöglicht. Um bei einer Vielzahl von Geschäftsprozessen den Überblick zu behalten und verschiedene Prozesse einheitlich zu gestalten und effizient zu verbinden, müssen Standards definiert werden. Hier liegt enormes Optimierungspotenzial für Organisationen.
Gerade bei einem Tool wie Adonis lohnen sich detaillierte Vorüberlegungen, in welcher Weise und auf welcher Ebene Prozessoptimierung ermöglicht werden sollen. Anschliessend können Prozesse unter Einhaltung geeigneter Modellierungskonventionen erstellt werden, um Potenziale in der Optimierung aufzuzeigen: Bspw. ist es möglich, Durchlaufzeiten einzelner Aufgaben zu erfassen und durch Simulationen für eine Vielzahl von Prozessen aufzuarbeiten, wo ein Prozess «hängt» bzw. auf angrenzende Prozesse warten muss.
In unterschiedlicher Granularität können Prozesse auf verschiedenen Ebenen von Prozesslandkarte ohne grosse Standards bis in die tiefen der Systemprozesse aufgenommen werden. Die Entscheidung über die Granularität mit Weitblick zu treffen, ist eine Herausforderung und benötigt das Abwägen zwischen Übersichtlichkeit und Komplexität. Tools, wie bspw. Adonis, ermöglichen diese Verschachtelung bis ins Detail durch Verknüpfungen von Prozessen und Teilprozessen und erlaubt die Darstellung sowohl im grösseren Kontext als auch im Detail in der Kombination von Prozesslandkarte bis hin zum Systemprozess.
Automatisierung von Prozessen
In bestimmten Kontexten lässt sich BPMN 2.0 zudem in der effizienten Automatisierung von Prozessen einsetzen. Wir bei der APP haben unsere Erfahrungen mit Camunda aus einem internen Automatisierungsvorhaben gesammelt. Grundlage hierfür ist, dass BPMN-Diagramme standardisiert und maschinenlesbar im .xml Format gespeichert werden. Prinzipiell könnten damit Diagramme zwischen verschiedenen Tools problemlos ex- und importiert werden. In der Praxis ist das nicht uneingeschränkt der Fall, da noch weitere Attribute gespeichert werden, die zusätzlich tool-spezifische Daten enthalten.
Zur Automatisierung bietet Camunda eine Prozess Engine an, in der (Teil-)Prozesse ausgeführt werden können. Die Tasks selbst laufen dann in einer Java Virtual Machine ab. Hier lassen sich Prozessabläufe und einzelne programmierte Aufgaben im grösseren Kontext mit manuellen resp. benutzer:innengesteuerten Aufgaben verknüpfen. Besonders in diesem Fall ist es notwendig, zu Beginn den Umfang und die Erwartungen an die Modellierung festzulegen. Ein BPMN 2.0 Prozessdiagramm, was ursprünglich zur Darstellung von Prozessen gedacht war, eignet sich nicht gleichermassen auch zur Automatisierung und umgekehrt.
Fazit
Das Spektrum der Anwendungsbereiche rund um BPMN 2.0 ist gross: Ein Tool, das für eine spezielle Herausforderung in der Vergangenheit oder ein Proof-of-Concept die schlanke und effiziente Lösung geboten hat, muss nicht unbedingt die beste Wahl für eine neue Herausforderung sein. Die APP unterstützt bei der effizienten und nachhaltigen Aufnahme der Anforderungen, erarbeitet die Evaluation und begleitet Sie bei der Einführung. Mit unserem reichen Erfahrungsschatz greifen wir auf zahlreiche Projekte verschiedener Komplexität zurück und bieten das Know-how, Ihre Organisation in der effizienten Optimierung von einzelnen Prozessen oder dem Umstieg zur ganzheitlichen Modellierung ihrer Geschäftsprozesslandschaft zu begleiten.
Möchten Sie mehr über dieses spannende Thema erfahren oder wissen, wie die APP auch Sie bei einem herausfordernden Vorhaben unterstützen kann? Wir freuen uns auf Ihre Kontaktaufnahme.
Lesen Sie unsere Fachbeiträge zu BPMN 2.0
«Erfahrungsbericht Prozessautomatisierung» vom 4. März 2021
«Wie führe ich BPMN 2.0 in der Praxis ein?» vom 10. Juli 2019