Business Ecosystems - Wertschöpfung durch Kollaboration
11. März 2020Ausgangslage
Firmen verstehen sich traditionellerweise als Einzelkämpfer. Dieses Selbstverständnis schafft seit der Industrialisierung die Wettbewerbsgrundlage für wirtschaftlichen Erfolg. In einer relativ klar fassbaren Branche und in spezifischen Märkten konkurrieren Firmen mit ihren Wettbewerbern um Kunden, Marktanteile und Reputation. Die Konkurrenten kennen sich gegenseitig und haben entlang der etablierten Wertschöpfungskette ähnliche Angebote und Prozesse. Das Herzstück der Innovationskraft von Einzelkämpferfirmen bilden deren Kernkompetenzen und zentralen Ressourcen. Innovationsprojekte finden klassischerweise innerhalb der Branchengrenzen statt. Daraus entstehen inkrementelle Verbesserungen der Produkt- und Serviceangebote, welche die Marktstellung der jeweiligen Unternehmen wahren.
Die aus diesem Setting resultierenden Angebote innerhalb einer Branche komplementieren sich lediglich generisch. Käufer*innen müssen Aufwand betreiben, um verschiedene Produkte und Dienstleistungen nach ihrem Bedarf zu kombinieren, damit dieser möglichst gedeckt ist. Mit anderen Worten: Wer umziehen will, muss verschiedene Wohnungsportale durchforsten, mehrere Offerten von Umzugsunternehmen einholen und schlussendlich noch die bestmögliche Versicherungspolice finden. Alle diese Produkte und Dienstleistungen auf die eigenen Ansprüche abzustimmen, damit am Schluss das Ziel «An einem anderen Ort zufrieden wohnen» erreicht wird, ist aufwendig.
Für die Anbieter war in der hier geschilderten «alten» Ausgangslage keine branchenfremde Konkurrenz zu befürchten. Doch das war bevor verschiedene Ausprägungen der Digitalisierung wie die Plattform-Ökonomie begonnen haben, Branchengrenzen durch massiv tiefere Transaktionskosten zu verwischen.
Die Herausforderung
Nie zuvor war es für Unternehmen so einfach, mittels digitaler Technologien Informationen auszutauschen und sich mit anderen Akteuren zu vernetzen. Die Transaktionskosten sind innerhalb und zwischen Unternehmen bedeutend gesunken, wodurch Kollaborationen mit anderen Marktakteuren an wirtschaftlicher Attraktivität gewonnen haben. Immer häufiger können Aktivitäten in-house nicht mehr günstiger erbracht werden. Zudem können Innovationen innerhalb der Wertschöpfungskette eines einzigen Unternehmens neue und dynamische Kundenbedürfnisse nicht mehr vollumfänglich befriedigen. Es ist daher opportun, das ausserbetriebliche Beziehungsgeflecht zu verdichten.
Durch die soeben aufgeführten Aspekte sind die Grenzen von Unternehmen oder gar von Branchen nicht mehr so klar voneinander trennbar. Beispielsweise wird aus der Bahn- und Automobilbranche neu der Sektor «Mobilität» – und in diesem tummeln sich sogar Digitalfirmen, die grosse Marktanteile gewinnen, ohne ein einziges Fahrzeug zu besitzen. Wettbewerb mit dieser neuen Art von Konkurrenz stellt neue Anforderungen.
Im Ecosystems-Umfeld hängt der Erfolg einer Firma stark vom Erfolg der vielfältigen und wechselhaften Kollaboration mit anderen Unternehmen unterschiedlicher Grösse und Typs ab. Durch die Einbettung in verschiedene Ökosysteme ist das Verständnis einer Firma als unabhängige strategische Akteurin nicht mehr in jedem Fall angebracht.
Business Ecosystems
Die Analogie des Namens Business Ecosystems entspringt der Biologie: Ökosysteme bestehen aus einem Geflecht von Organismen, die durch ihr interdependentes Zusammenwirken einen reichhaltigen Lebensraum schaffen. Die Organismen kollaborieren, treten im Wettbewerb gegeneinander an oder gehen Symbiosen ein.
Im Kern bestehen Business Ecosystems aus einem Zusammenschluss von mehreren Unternehmen (1), die auf ein gemeinsames Wertversprechen (Engl. Value Proposition) ausgerichtet sind. Aus dem Firmenverbund entsteht ein gemeinsames Produkt- und/oder Dienstleistungsangebot, welches keine der involvierten Parteien alleine erbringen kann. Häufig werden diese Angebote über eine digitale Kollaborationsplattform bereitgestellt. Alle teilnehmenden Firmen haben Interesse am Erfolg des Ganzen, da dessen Wertversprechen erst durch die erfolgreiche interdependente Kollaboration zwischen den Parteien zustande kommt.
Das Zusammenspiel in Business Ecosystems
In der Regel übernimmt ein Unternehmen die Rolle des Orchestrators. Dieser vermittelt die Zusammenarbeit und stellt die Kollaboration der Akteure auf Augenhöhe sicher. Durch die ausgeprägte gegenseitige Abhängigkeit im Business Ecosystem ist die gleichberechtigte Zusammenarbeit, mit gleichem Mitspracherecht, von kleinen (z.B. Startups) oder grossen Unternehmen (z.B. Konzern) zentral. Die Abhängigkeit manifestiert sich dadurch, dass das gemeinsame Angebot nur durch die aktive Teilnahme aller Partner bestehen kann. Die Abhängigkeit und die Zusammenarbeit auf Augenhöhe sind beides wesentliche Unterscheidungsmerkmale von Business Ecosystems im Vergleich zu anderen Unternehmensnetzwerken. Die Kollaboratoren legen die Fahrtrichtung miteinander fest, wobei der Orchestrator in seiner Rolle lediglich Verbindlichkeiten schafft und die Erreichung des Wertversprechens sicherstellt.
Wertschöpfungsnetzwerk: Modulares Wertversprechen in Business Ecosystems
Es gibt verschiedene Wege für Unternehmen sich an Kundenbedürfnissen zu orientieren und Wertversprechen an den Markt zu bringen. Nachfolgend werden markt- und hierarchiegestützte Wertesysteme erklärt und die Unterschiede zu einem Ecosystems Wertesystem hervorgehoben.
Marktgestütztes Wertesystem
Klassischerweise decken diverse Produzenten gewisse Bereiche der Bedürfnisse von Kunden ab. Die Kunden entscheiden sich für Produkte und Dienstleistungen von unabhängigen Herstellern, um diese einzeln oder in Kombination zu konsumieren. Wie am Umzugsbeispiel weiter oben erläutert, ergänzen sich diese Produkte und Dienstleistungen nur auf generischer Ebene und der Kunde muss einen erheblichen Aufwand betreiben, um diese zu seiner Zufriedenheit zu kombinieren.
Hierarchiegestütztes Wertesystem
Eine andere weitverbreitete Form ist die Abdeckung von Kundenbedürfnissen durch eine dominante Firma, wie beispielsweise eine Generalunternehmung. Diese koordiniert miteinander konkurrierende Unternehmen in einer horizontalen Supply-Chain. Die Konkurrenz im Zuliefernetzwerk ist bezeichnend für die vorherrschende Hierarchie, welche der dominierenden Firma grosse Macht einräumt. Der Kunde bezieht die umfassende, aber standardisierte Marktleistung einzig von der zentralen Unternehmung. Beispielsweise ist dies ein Umzugsunternehmen, welches Subunternehmen für die Endreinigung engagiert und als Broker Versicherungspolicen mit Vorzugskonditionen vergibt.
Ecosystems Wertesystem
In Business Ecosystems stehen die Kundenbedürfnisse an oberster Stelle. Nach der möglichst vollständigen Erfassung dieser Bedürfnisse, müssen zwei Fragen beantwortet werden:
- Welche Aspekte der Kundenbedürfnisse können durch die firmeneigenen Fähigkeiten und Ressourcen erfüllt werden?
- Welche Aspekte der Bedürfnisse lassen sich durch Kollaboration mit Partnerfirmen abdecken?
Sobald die geeigneten Partner mit an Bord sind, wird ein Firmenverbund geformt. Dieser entwickelt – vermittelt durch den Orchestrator – entweder eine spezifische Kundenlösung oder ein zusammenhängendes Leistungsangebot.
Ersteres ist beispielsweise ein individualisierbares Produkt: Möbelregalsysteme nach Mass und Wunsch mit Hilfe von 3D-Vermessungstechnologien und Virtual Reality Visualisierung. Letzteres hat zum Ziel eine gesamte Customer Journey zu begleiten. Beispielsweise von der Wohnungssuche, zum Mietervertrag, über den Umzug bis hin zur Umbaufinanzierung.
Eine bezeichnende Eigenschaft von Business Ecosystems Angeboten ist deren Modularität. Ecosystems-Partner bekennen sich zu gewissen Interdependenzen, beispielsweise durch die Einhaltung von technischen oder organisatorischen Standards. Die Gleichbehandlung der Ecosystems-Partner wird durch die soeben erwähnten Standards sichergestellt.
Mit anderen Worten: Der Kunde kann sein Bedürfnis durch die mühelose Kombination von verschiedenen, speziell komplementären Produkt- oder Servicemodulen erfüllen. Beispielsweise indem er ein Konto bei einer Online-Plattform zum Thema «Wohnen & Umzug» eröffnet. Dort hat er die Möglichkeit, die für ihn richtige Wohnung zu finden, den Mietvertrag online abzuschliessen, ein Umzugsunternehmen zu buchen oder sogar eine Hausratsversicherung zu beziehen. Das ist nur möglich, weil die Ecosystems-Partner ihre Angebote über den standardisierten Rahmen der digitalen Plattform in Form von Modulen zugänglich machen. Abbildung 1 stellt die soeben beschriebenen Zusammenhänge übersichtlich dar.
Abbildung 1: Modulares Wertesystem von Business Ecoystems
(1) Der Fokus liegt im vorliegenden Artikel auf Business Ecosystems. Grundsätzlich können auch Vereine, Stiftungen, Forschungsinstitutionen oder staatliche Organisationen Teil von Ecosystems werden.
Nutzen von Business Ecosystems
In internen Innovationsprojekten oder innerhalb der üblichen Branchengrenzen ist der Zugang zu Ressourcen und Fachwissen limitiert und / oder muss kostspielig eingekauft werden. Die Erweiterung des unternehmerischen Horizontes in Business Ecosystems erlaubt es innovative Wertversprechen zu entwickeln, die ausserhalb der klassischen Lieferkette liegen. Dadurch wird die Wertschöpfungskette eines Unternehmens zu einem Wertschöpfungsnetzwerk von Partnern. Zudem profitieren alle Parteien eines Ecosystems im Sinne einer kollektiven Intelligenz von den gegenseitigen Ressourcen, dem Fachwissen, den Erfahrungen und Ideen. Durch diesen vereinfachten Zugang zu Ressourcen und Wissen auf der Basis von niedrigen Transaktionskosten, können Business Ecosystems die Hindernisse interner Innovationsprojekte überwinden.
Das aus Business Ecosystems resultierende Wertversprechen ist demjenigen von Einzelfirmen oder punktuellen (meist bilateralen) Kooperationen von Wenigen überlegen. Die Lücken, die in markt- oder hierarchiegestützten Wertesystemen entlang der Wertschöpfungskette entstehen, werden im einem Wertschöpfungsnetzwerk (Engl. Value Network) geschlossen. Dieses Wertversprechen erlaubt sowohl Grossunternehmen, KMUs oder Start-ups im Kollaborationsverbund neue Märkte ausserhalb der traditionellen Branchengrenzen zu erschliessen. Die Teilnehmenden eines erfolgreichen Business Ecosytems profitieren von einer gesteigerten Wettbewerbsfähigkeit.
Erfolgsfaktoren
Business Ecosystems sind eine relativ junge Erscheinung die jedoch zunehmendes Interesse von Wirtschaft und Forschung erfährt. Es existieren daher noch keine breit abgestützten Erkenntnisse zu den Erfolgsfaktoren. Dennoch lassen sich einige Erfolgsvoraussetzungen identifizieren.
1. Wertversprechen
Ein Business Ecosystem benötigt zunächst ein klares Wertversprechen, welches auf ein Kundenbedürfnis abgestimmt ist. Der daraus entstehende Wert oder wirtschaftliche Erfolg muss hoch genug sein, damit alle Ecosystems-Partner von der Kollaboration profitieren können. Die Risiken und Kosten, die jeder Partner, insbesondere der Orchestrator durch den Koordinationsaufwand, in Form von Transaktionskosten auf sich nimmt, müssen verhältnismässig sein.
2. Kollaboratoren statt Einzelkämpfer
Eine essenzielle Frage für jedes Business Ecosystem ist zudem, wie die Grenzen zwischen dem Eigenen und dem Gemeinsamen überwunden werden können. Dazu müssen die Bedürfnisse, Anreize und Motivationen der Partner im Verbund berücksichtigt werden. Die Zusammenarbeit auf Augenhöhe ist hierfür die Grundlage, damit ein transparenter und vertrauensvoller Umgang stattfinden kann. Sind die Teilnehmenden im Verbund zu sehr auf kurzfristigen Erfolg aus, wollen starke gegenseitige Kontrolle ausüben oder sich nicht in die Karten blicken lassen, so bleiben sie Einzelkämpfer. Ein Business Ecosystem muss auf neue Wettbewerber, veränderte Kundenbedürfnisse oder gar einen Partner in Schwierigkeiten agil und mit Demut eingehen können, um am Markt zu bestehen. Damit das klappt, müssen die Kollaboratoren eine offene, nach aussen gerichtete kulturelle Werthaltung einnehmen können und fähig sein, Beziehungen zu einer Vielzahl von Partnern zu pflegen. Kollaborationsmethoden können die nötige Unterstützung bieten, um die notwendige transparente, offene und faire Kultur zu fördern. Die Frage: Wie kann ich den anderen firmen helfen, Wert zu schaffen? ist ein geeigneter Einstieg um eine kollaborative Werthaltung einzunehmen.
Kollaboration als Paradigmenwechsel
Traditionellerweise versteht sich ein Unternehmen als abgekapseltes System, als Einzelkämpfer, welches sich über Abgrenzung von Wettbewerbern durch Alleinstellungsmerkmale (Engl.: Unique Selling Point) definiert. Dieses Selbstverständnis limitiert oder lähmt gar die Möglichkeit, an den neu entstehenden Entwicklungspfaden und Innovationsmöglichkeiten jenseits der eigenen Branchen- oder Unternehmensgrenzen teilzuhaben. Geschweige denn, die völlig neuen Möglichkeiten der Schaffung von überlegenen Wertversprechen für Kunden zu realisieren, die durch Kollaboration in Business Ecosystems entstehen können. Business Ecosystems gehen einen Schritt weiter als herkömmliche Unternehmenspartnerschaften: Die Partner kooperieren nicht nur, sie kollaborieren um gemeinsame Wertversprechen zu erbringen und die daraus entstehende Wertschöpfung zu teilen. Das gelingt nur, wenn sich die beteiligten Unternehmen als interdependente Partner in verschiedenen Ökosystemen verstehen und eine kollaborative Werthaltung einnehmen. Erst dadurch wird es möglich, gemeinsame Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln, die nicht jeder für sich hätte entwickeln können.
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Quellen
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BEI St. Gallen & Deloitte (2019). Ecosystems 2021 – was bringt die Zukunft? Gestaltung und Positionierung der Finanzindustrie.
Die Volkswirtschaft (2018) 7, S. 58–60
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