User Experience (UX) und Requirements Engineering (RE) – Ein Widerspruch?
11. September 2023Kommt Ihnen diese Situation bekannt vor? Kaum hat ein Kind ein Smartphone in den Händen, ist es in kurzer Zeit fähig, dieses zu bedienen. Das intuitive Design führt dazu, dass das Gerät ohne ausgiebiges Vorwissen benutzt werden kann. Es gibt jedoch auch gegenteilige Beispiele im Alltag, bei welchen die Interaktion mit einem Produkt zu Überforderung und Frustration führt. Das Design eines Produktes entscheidet massgebend darüber, wie die Benutzer:innen damit interagieren und das Produkt wahrnehmen.
Im Entwicklungsprozess stellt sich hierbei oft die Frage, wie die Benutzer:innen optimal abgeholt werden können und zu welchem Zeitpunkt. Reicht die Umsetzung von Benutzeranforderungen aus, um den Benutzer:innen eine positive Nutzererfahrung zu ermöglichen?
UX und RE kurz vorgestellt
Unter User Experience (UX) wird die «Wahrnehmungen und Reaktionen einer Person verstanden, die aus der tatsächlichen und/oder der erwarteten Benutzung eines Produkts, eines Systems oder einer Dienstleistung resultieren» (ISO 9241-210). Fällt die UX negativ aus, ist etwas im Entwicklungsprozess schief gelaufen und die Bedürfnisse der Benutzer:innen wurden nicht genügend im Anforderungserhebungsprozess einbezogen.
Das Requirements Engineering (RE) befasst sich mit der systematischen Erhebung, Dokumentation und Verwaltung von Anforderungen. RE-Methoden eignen sich, um ein System zu beschreiben und festzuhalten, was verschiedene Stakeholder mit dem System erreichen wollen. Dazu werden sowohl funktionale Anforderungen wie auch Qualitätsanforderungen berücksichtigt. Insbesondere die Qualitätsanforderungen enthalten unter anderem UX-Elemente (Benutzbarkeit, Zuverlässigkeit). In der Praxis wird der Fokus jedoch noch häufig auf die funktionalen Anforderungen gelegt.
Dabei geht oft die Frage verloren, wie die Benutzer:innen mit dem System interagieren und welche Probleme tatsächlich eine Rolle spielen. Um diese Frage beantworten zu können, ist das gewählte Vorgehen relevant und welche Personen dabei involviert werden.
Was ist UCD?
User Centered Design (UCD) ist ein nutzerzentriertes Vorgehen zur Lösungsentwicklung und -gestaltung. Als nutzerzentriert wird ein Vorgehen bezeichnet, sofern es folgende Grundsätze erfüllt (ISO-9241-210):
- Aufbauen eines umfassenden Verständnisses der Benutzer:innen, Arbeitsaufgaben und Arbeitsumgebungen
- Miteinbeziehen von Benutzer:innen im Prozess
- Verfeinern und Anpassen von möglichen Lösungen durch benutzerzentrierte Evaluierung
- Durchlaufen eines iterativen Prozesses
- Berücksichtigen der gesamten User Experience
- Erarbeiten der Lösung in multidisziplinären Teams (fachübergreifende Kenntnisse und Perspektiven)
Basierend auf diesen Grundsätzen erfolgt die Anforderungsspezifikation erst nach einer ausgiebigen Nutzerforschung. Die Nutzerforschung stellt sicher, dass der Nutzungskontext sowie mögliche zu lösende Probleme der Benutzer:innen verstanden werden. Ausgehend von dem zu lösenden Problem, welches die Benutzer:innen haben, werden mögliche Lösungen entworfen. Die Ausprägung des Entwurfs startet oft mit einem einfachen Prototyp, der iterativ weiterentwickelt und mit den Benutzern:innen im Rahmen von Usability Tests evaluiert wird. Auf Basis der Ergebnisse aus den Usability Tests werden die Entwürfe angepasst und Anforderungen ergänzt. So wird mit jeder Iteration der Prototyp weiter spezifiziert, bis hin zu einem funktionsfähigen Produkt, welches den Bedürfnissen der Benutzer:innen entspricht. Im Prozess ist dabei zu berücksichtigen, dass unterschiedliche Faktoren die User Experience beeinflussen. Also nicht nur funktionale Eigenschaften des Systems, sondern beispielsweise auch Erfahrungen, Fähigkeiten oder Gewohnheiten der Benutzer:innen. Durch den Einsatz von multidisziplinären Teams und Einbezug der Benutzer:innen im Prozess, werden unterschiedliche Sichten eingebracht und Usability Probleme können effizient behoben werden.
Der iterative UCD-Prozess kann wie folgt dargestellt werden:
Abbildung 1: Der iterative UCD-Prozess
Kombination UCD und RE: Die Benefits
Durch die Nutzerforschung und Usability Tests löst UCD kurzfristig mehr Aufwand aus als ein nicht nutzerzentrierter Ansatz, jedoch steht dem die Einsparung von Folgekosten gegenüber. Dies sind u. a. die Vermeidung von hohem Aufwand für das Redesign nicht intuitiver Lösungen oder die Reduktion des Ausbildungs- und Supportbedarfs für überforderte Benutzer:innen. Da beim UCD immer vom eigentlichen Problem der Benutzer:innen während der Systemnutzung ausgegangen wird, kann vermieden werden, dass eine für die Benutzer:innen unbrauchbare Lösung entwickelt wird. Weiter wird durch den frühen und kontinuierlichen Einbezug der Benutzer:innen die Akzeptanz des Produkts erhöht.
UCD steht hierbei nicht im Widerspruch zu RE, im Gegenteil: Durch das multidisziplinäre Team arbeiten UX- und RE-Expert:innen eng zusammen. RE-Methoden unterstützen die Spezifikation der Anforderungen und werden bei Bedarf im UCD-Prozess integriert. Die Anforderungen werden über die Zeit laufend anhand der Erkenntnisse aus Usability Tests und weiteren UCD-Aktivitäten aktualisiert. Denn wenn die Anforderungen der Benutzer:innen nicht korrekt umgesetzt sind, dann wird auch das Benutzererlebnis negativ ausfallen. Hingegen wird durch die Benutzerbeteiligung und Berücksichtigung von unterschiedlichen Perspektiven eine Lösung entwickelt, die nicht nur die funktionalen Anforderungen erfüllt, sondern auch ein positives Benutzererlebnis bietet.
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