Interviews sind ein zentrales Instrument für Business Analyst:innen und Requirements Engineers, um wertvolle Informationen von Stakeholdern zu gewinnen. Sie ermöglichen es, Anforderungen zu erheben, Prozesse zu verstehen und Lösungen zu validieren. Nachfolgend beleuchten wir, wann der Einsatz von Interviews besonders sinnvoll ist und wie Sie diese effektiv planen, durchführen und auswerten können.

Einsatzbereiche und Zweck von Interviews

Interviews werden beim Requirements Engingeering unter anderem für folgende Zwecke angewandt:

  • Anforderungserhebung: Direkter Austausch mit Nutzern und Stakeholdern, um deren Bedürfnisse und Erwartungen zu verstehen.

  • Prozessanalyse: Detaillierte Einblicke in bestehende Abläufe und Identifikation von Optimierungspotenzialen.

  • Validierung von Lösungen: Einholung von Feedback zu geplanten oder implementierten Lösungen, um deren Akzeptanz und Effektivität sicherzustellen.

Der Hauptzweck von Interviews besteht darin, qualitative Daten zu sammeln, die durch andere Methoden wie Umfragen oder Dokumentenanalyse schwer zu erheben sind. Daneben gibt es noch weitere Methoden wie Workshops oder Gruppengespräche, die sehr ähnlich sind. Doch welche Methode soll wann angewendet werden? Grundsätzlich hängt die Wahl der passenden Methode zur Anforderungserhebung stark vom Ziel, den Stakeholdern und der Art der benötigten Informationen ab. Als weitere Befragungstechnik gibt es neben den Interviews, auch noch den Fragebogen.

Folgende Tabelle hilft bei der Wahl der Methode, je nach Situation und Ziel:

Best Practice 1:

Methoden lassen sich oft gut kombinieren – z.  B. Interviews zur Tiefenanalyse nach einer Umfrage oder wenn bereits viele Informationen zu einem Thema vorhanden sind. Ein Workshop eignet sich besonders zur Synthese mehrerer Einzelinterviews oder um gemeinsame Lösungen zu entwickeln und Konsens zu schaffen.

Vorgehensweise und Prozess für die Interviewführung

Wenn Interviews die passende Methode sind, sollte das Vorgehen gut strukturiert geplant werden, um optimale Ergebnisse zu erzielen. Der Prozess lässt sich in vier Phasen unterteilen:

1. Erstellung des Interviewleitfadens

Ein Interviewleitfaden dient als roter Faden für das Gespräch und stellt sicher, dass alle relevanten Themen abgedeckt werden. Idealerweise erhalten die Interviewpartner:innen den Interviewleitfaden vorab, um sich gezielt auf bestimmte Fragen vorbereiten zu können.

Bei der Erstellung des Interviewleitfadens sollten Sie:

  • Ziele definieren: Klären Sie, welche Informationen Sie von den Interviewpartner:innen benötigen und formulieren Sie darauf basierend Ihre Fragen.

  • Struktur festlegen: Ordnen Sie die Fragen logisch, beginnend mit allgemeinen Themen und übergehend zu spezifischen Aspekten. Im Hauptteil des Interviews sollten Fragen zu Erfahrungen, Meinungen, Abläufen oder bestehenden Problemen gestellt werden. Zum Abschluss des Gesprächs ist es sinnvoll, dem Interviewpartner / der Interviewpartnerin Raum für offene Punkte zu geben

  • Fragetypen wählen: Nutzen Sie offene Fragen W-Fragen sprich Fragen, die mit einem Fragewort beginnen, das in der Regel mit einem «W» anfängt, um ausführliche Antworten zu erhalten und geschlossene Fragen für spezifische Informationen. Geschlossene Fragen sind Fragen, auf die man in der Regel nur mit «Ja» oder «Nein» oder mit einer kurzen, konkreten Antwort reagieren kann. Sie lassen wenig Raum für ausführliche Erklärungen oder Meinungen.

Ein gut durchdachter Leitfaden hilft, das Interview zielgerichtet und effizient zu führen.

Best Practice 2: Fragetechniken mit Wirkung

Im folgenden Verlauf werden passende Fragetechniken je nach Phase des Gesprächs gezeigt. Die Beispiele verdeutlichen deren praktische Wirkung.

2. Durchführung des Interviews

Während des Interviews ist es wichtig, eine vertrauensvolle Atmosphäre zu schaffen. Beginnen Sie mit einer kurzen, freundlichen Vorstellung und erläutern Sie offen den Zweck und die Ziele des Gesprächs. Sichern Sie die Vertraulichkeit der Inhalte zu und holen Sie gegebenenfalls das Einverständnis zur Aufzeichnung des Interviews ein. Ein freundlicher, wertschätzender Umgang schafft Offenheit und sorgt dafür, dass sich Interviewpartner:innen frei äussern können. Achten Sie auf aktives Zuhören, z.  B. durch Blickkontakt, zustimmendes Nicken oder gezielte Rückfragen. Halten Sie Pausen bewusst aus, denn oft entstehen gerade in diesen Momenten besonders ehrliche oder reflektierte Antworten. Zum Abschluss des Gesprächs ist es sinnvoll, dem Interviewpartner / der Interviewpartnerin Raum für offene Punkte zu geben, zum Beispiel mit der Frage: «Gibt es etwas, das Sie ergänzen möchten?».

Best Practice 3:

  • Kanal: Definieren Sie bewusst den Kanal. Insbesondere, wenn man eine Person nicht kennt, ist ein physisches Interview einem Online-Termin vorzuziehen. Dadurch können Missverständnisse minimiert und Wertschätzung dem Interviewpartner/der Interviewpartnerin gegenüber ausgedrückt werden.

  • Flexibilität & Nachfragen: Obwohl der Leitfaden eine Struktur vorgibt, sollten Sie auf interessante Punkte eingehen und gegebenenfalls nachhaken. Verwenden Sie bewusst, die W- Fragen und lassen Sie sich dabei von der «5-Why» Methode (1) leiten. Fragen Sie gezielt nach wie «Können Sie ein Beispiel nennen?»oder «Wie genau äussert sich das im Alltag?». Denken Sie modular, das heisst, wenn das Gespräch auf natürliche Weise zu einem anderen Thema übergeht, bleiben Sie flexibel und nutzen Sie Übergänge wie «Auf diesen Punkt kommen später noch einmal zurück».

  • Dokumentation: Machen Sie sich während des Gesprächs Notizen oder nehmen Sie das Interview (nach Zustimmung) auf, um später nichts zu vergessen. Das Credo lautet hier: «Qualität sichern, ohne den Aufwand explodieren zu lassen», mehr dazu im nächsten Abschnitt.

3. Dokumentation des Interviews

Ziel der Interview-Dokumentation ist es, die wesentlichen Erkenntnisse so zu erfassen, dass sie später leicht ausgewertet und weiterverwendet werden können, ohne dabei viel Zeit oder Ressourcen zu binden. Je nach Setting und Anspruch bieten sich unterschiedliche Vorgehensweisen an.

Best Practice 4:

  • Eine Kombination aus strukturierter Mitschrift & optionaler Aufnahme bietet meist das beste Verhältnis aus Aufwand, Qualität und Flexibilität, vor allem, wenn Sie viele Aussagen vergleichen oder später weiterverarbeiten wollen.

  • Review Interviewprotokoll: Um zu verhindern, das falsche oder nicht korrekte Aussagen dokumentiert sind, empfiehlt es sich, im Nachgang die schriftliche Dokumentation vom Interview dem Interviewpartner / der Interviewpartnerin zum Review zu geben. Allfällige Ergänzungen oder Korrekturen können so noch berücksichtigt werden.

  • Aufnahme & Transkription: Wird eine Aufnahme gemacht, sollte dies immer transparent kommuniziert und gegenenefalls schriftlich bestätigt werden. Hilfreich ist hier die Verwendung vom integrierten Recorder auf dem Smartphone. Zur Erstellung automatischer Transkripte existieren verschiedene KI-Tools, welche erstaunlich gut vom Schweizerdeutschen ins Hochdeutsche übersetzen können. Beispiele dafür sind «Schweizerdeutsch übersetzen» (2) und «Töggl» (3).

Achten Sie darauf, die Dokumentation zeitnah nach dem Interview anzufertigen, um den Informationsverlust zu minimieren.

4. Auswertung des Interviews

Bei der Analyse der Interviews empfehlen wir:

Kategorisierung & Mustererkennung

Häufig wiederkehrende Aussagen oder Meinungen identifizieren und die Antworten in sinnvolle Kategorien einteilen. Dazu eignen sich verschiedene qualitative und quantitativen Methoden und Techniken:

  • Qualitativ: Die Bildung von Themen-Clustern anhand ähnlicher Aussagen bzw. Informationen und Zuordnung von Schlagwörtern und/oder Markierung mit Farbcodes. Je nach Komplexität der Informationen ist es empfehlenswert, eine Unterteilung in Haupt- und Untercluster vorzunehmen. Für wenig umfangreiche Auswertungen eignen sich hierzu besonders Word oder OneNote. Für grössere Datenmengen empfiehlt sich die Erstellung einer separaten Exceltabelle und den Einsatz von Pivot Tabellen. Bei Fokus auf der kollaborativen Erarbeitung von Clustern, kann ausserdem ein Online-Whiteboard wie etwa Miro oder Conceptboard eingesetzt werden. In besonders komplexen Fällen oder im akademischen Kontext eignen sich zudem spezialisierte Codierungstools.

  • Quantitativ: Es ist sehr hilfreich zu wissen, welche Cluster besonders wichtig sind z. B. mittels Zählung von Antworthäufigkeiten. Für grössere Datenmengen empfehlen wir den Einsatz von Pivot Tabellen in Excel, um Aussagen/Informationen visualisieren zu können. Darauf basierend kann eine Priorisierung abgeleitet werden.

Schlussfolgerungen ziehen

Die gewonnenen Erkenntnisse interpretieren und Handlungsempfehlungen ableiten.

Eine strukturierte Auswertung wie oben ausgeführt ermöglicht es, fundierte Entscheidungen zu treffen und die nächsten Schritte zu planen.

Zusammenfassende Best Practices aus unseren Mandaten

  • Klare Zielsetzung: Definieren Sie im Voraus, welche Erkenntnisse Sie gewinnen möchten.

  • Gute Vorbereitung: Recherchieren Sie im Vorfeld Hintergrundinformationen zu den Interviewpartner:innen und senden Sie ihnen optional den Interviewleitfaden, damit sie sich gezielt vorbereiten können.

  • Angenehme Atmosphäre schaffen: Ein freundlicher Einstieg fördert Offenheit und Vertrauen.

  • Aktives Zuhören & Nachhaken: Zeigen Sie Interesse und gehen Sie auf die Antworten ein. Fokussieren Sie sich auf ein bewusstes aktives Zuhören.

  • Nachbereitung nicht vergessen: Fassen Sie Erkenntnisse direkt nach dem Interview zusammen und teilen Sie sie mit relevanten Stakeholdern.

Fazit

Interviews sind ein effektives Werkzeug im Requirements Engineering, um tiefgehende Einblicke und qualitatives Feedback von Stakeholdern zu erhalten. Durch eine sorgfältige Planung, Durchführung, Dokumentation und Auswertung können Sie sicherstellen, dass die gewonnenen Informationen valide und verwertbar sind. Ein strukturierter Interviewprozess trägt massgeblich zum Erfolg Ihrer Projekte bei.

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